In der vorherigen Ausgabe haben wir die Grundlagen des Dehnens ausführlich behandelt. In dieser Ausgabe setzen wir dieses Thema fort mit dem zweiten Teil – dem Dehnen der Piercings im Intimbereich. Ein schweres Thema für ein Magazin, denn interessant und wichtig wären sicher detaillierte und hochwertige Fotos – ein Bild sagt bekanntlich mehr als viele Worte – aber das ausführliche Bebildern bleibt eine heikle Angelegenheit. Nichts desto trotz wollen wir nicht ganz auf Bilder verzichten und haben Illustrationen erstellt. Wir hoffen so, wie auch in den Bereichen Scarification und Suspension, jeden Leser für das Thema zu interessieren und niemanden zu „erschrecken“. Das gleich im zweiten Teil des „Dehnen Specials“ der Fokus auf dem Dehnen der intimen Piercings liegt, erklärt sich mit der Tatsache, dass Infos zum Dehnen dieses Bereichs derzeit stark gefragt ist. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass man eben an dieser Stelle auf keinen Fall etwas falsch machen möchte und sich daher lieber ausführlich Informiert. Dazu wollen wir nun also beitragen und ein wenig Licht ins dunkle Intimleben bringen.
Werfen wir zu Beginn erst einmal einen Blick auf die „Piercing-Situation“ in diesem Bereich. Die am häufigsten gedehnten Piercings der Frau sind ganz klar die äußeren und inneren Schamlippen, gefolgt vom Klitorisvorhaut Piercing, dem Fourchette und Christina Piercing. Der Mann dehnt am häufigsten den PA, das Frenum sowie Scrotal (Hodensack) und Vorhaut Piercings. Schon seltener sind dann Dehnungen der Guiche, Apadravya, Ampallang, Pubic und Dydoe Piercings – mal abgesehen von der Tatsache das die Zahl dieser Piercings zwar wächst aber sie dennoch recht selten sind. Selbst im relativen Verhältnis ist z.B. der PA gegenüber andere Piercings der Eichel das häufiger gedehnte Piercing. Der recht kurze Stichkanal ist um einiges einfacher und schmerzfreier dehnbar als der doch sehr lange Stichkanal des Ampallang oder Apadravya die durch den Schwellkörper der Eichel gehen. Zwar bietet in der Regel ein längerer Stichkanal die bessere Basis zum Dehnen bzw. ist es dort angenehmer dicke und schwere Schmuckstücke zu tragen, doch je länger der Kanal ist, desto mehr Gewebe will gedehnt werden. Wobei dann so mancher an sein Schmerzlimit stößt. Wer einmal seinen Ampallang gedehnt hat, weiß wie viel Überwindung es kostet das Gleiche noch einmal mit dem nächsten Dehnschritt anzugehen. So manch einer schöpft zwar seine Motivation aus eben dieser schweren Überwindung und schmerzhaften Prozedur, doch das ist eher die Ausnahme. Wie heißt es so passend: „Wer schön sein will, muss leiden“.
Die Limits
Neben der Länge sind es noch die Anatomie des Gewebeaufbaus (Dicke des Gewebes, Festigkeit des Gewebes) und die Gewebeart (Mischgewebe, Hautgewebe, Schleimhautgewebe) die einen direkten Einfluss auf die Häufigkeit und oft auch die Möglichkeit und die Limits des Dehnens haben. So dehnen sich manche Piercings wie z.B. der PA beim Mann und die Schamlippen der Frau meist von selbst nur durch das Tragen des Schmucks. Man bekommt nach einiger Zeit ohne groß nachzuhelfen die nächste Schmuckgröße rein. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten denn endlos ist kein Piercing dehnbar, auch wenn es wie von alleine geht. Um innerhalb des ästhetischem und funktionalem Limits zu bleiben, welches man sich selbst oder die Anatomie einem setzt, ist es ratsam auch einmal einen Schritt zurück zu gehen und leichten Schmuck der nächsten kleineren Stärke zu tragen. Auch das „Pausieren“ eines Piercings, also das komplette Herausnehmen des Schmucks für eine gewisse Zeit kann ein probates Mittel sein seine gewünschte Stärke und Limit zu halten. Wie schnell und stabil sich dabei der Stichkanal verengt kann nicht allgemeingültig festgehalten werden. Hier hilft nur ein vorsichtiges Ausprobieren, mit passendem Schmuck in den jeweils kleineren Stärken in Reserve.
Die Basics
Auch für das Dehnen der Intimpiercings gelten die gleichen Verhaltensregeln, Tipps und Tricks wie beim Dehnen aller anderen Piercings (siehe Teil 1). Auch wenn sich viele Piercings im Intimbereich recht einfach und schnell dehnen lassen, sollte man sich von ersten Erfolgen nicht blenden lassen. Gerade im Intimbereich besteht auch die Gefahr das Gewebe durch zu schnelles oder „brutales“ Dehnen einreißt oder sich Gewebeschäden durch zu große Dehn-Schritte bilden. Deshalb gilt auch hier: mindestens 4 bis 6 Wochen zwischen jedem Dehnschritt warten und immer nur die kleinstmöglichen Dehnschritte unternehmen.
No Sex!
Man mag es für übertrieben halten, aber mit einem frisch gedehnten Piercing sollte man sich nicht gleich in die nächste „heiße Nacht“ stürzen. Wie wir ausführlich im ersten Teil des „Special Dehnen“ geschrieben haben, ist jedes frisch gedehnte Piercing wie ein neues Piercing zu behandeln. Es entstehen bei jedem Dehnschritt – im optimalsten Falle – mikroskopisch kleine oder auch – wenn es schief gelaufen ist – größere Risse im Gewebe. Diese stellen zwar keine vergleichbar große Wunde wie ein frisch gestochenes Piercing dar. Allerdings ist gerade der Kontakt zu fremden Körperflüssigkeiten, wie er sich beim Sex nicht für jedes Piercing verhindern lässt, ein erhöhtes Risiko. Zusätzlich ist das frisch gedehnte Piercing natürlich gereizt und der neue Schmuck sitzt unter Umständen noch nicht richtig bequem, so dass die „mechanische Beanspruchung“ auch einigen Schaden anrichten kann. Wenn man also nicht drauf verzichten kann oder möchte, sind ein Kondom und etwas Umsicht auf jeden Fall hilfreich.
Funktion & Form
Die Gründe weshalb gerade Intimpiercings – nach den Lobes (Ohrläppchen) – zu den am häufigsten gedehnten Piercings zählt liegt vermutlich nicht nur in der ansprechenden Optik des dickeren Schmucks sondern vor allem auch in der Funktion. Starker und schwerer Schmuck ist in diesem Bereich meist angenehmer zu tragen (er liegt besser, klappt nicht um und zwickt so weniger). Auch in der Stimulierung des Partners macht sich dicker Schmuck deutlich mehr bemerkbar. Wobei letzteres unbedingt im Dialog mit dem Partner abgestimmt werden sollte, da größer und wuchtiger nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit besser. Zu großer Schmuck oder zu dicke Kugeln werden manches mal auch als störend empfunden, genau das will man sicher mit seinen Piercings nicht erreichen. Die Vorlieben sind aber selbstverständlich individuell und verschieden, ein inzwischen auch in dickeren Stärken breites Schmucksortiment vom Segmentring über den Horseshoe (CBB) bis zu geraden und gebogenen Stäben bedient nahezu alle Bedürfnisse.
Der Schmuck
Die sorgfältige Wahl des Schmucks für den Einsatz im frisch gedehnten Piercing ist sehr wichtig und sollte gut überlegt sein. Es gilt auf die richtigen Abmessungen des Schmucks zu achten, denn zu kleiner oder zu großer Schmuck kann den angestrebten Effekt des angenehmen Tragens auch schnell ins Gegenteil umkehren. Ist der neue Schmuck vom Innendurchmesser bzw. Länge zu klein, kann er sehr leicht einschneiden, verschließen und drücken. Ein Effekt, der durch das erhöhte Gewicht des dickeren Schmucks noch verstärkt wird. Ist der Schmuck dagegen im Innendurchmesser bzw. Länge zu groß, dann kann der Schmuck sich sehr leicht verdrehen und unangenehm an den Körper anlegen bzw. mit Kleidungsstücken in Konflikt geraten. Auch das meistens höhere Gewicht des größeren Schmucks kann in Kombination mit weiter Wäsche Nachteile mit sich bringen, sei es durch vermehrte und energische Bewegung (Pendel-Effekt) oder einer optischen Abzeichnung in der Wäsche nach außen – was ja nicht unbedingt immer gewünscht ist. Die Wahl des Schmucks ist also sehr wichtig, aber man muss sich im Vorfeld damit nicht allzu sehr verrückt machen. In der Regel ist unbequemer Schmuck relativ ungefährlich, man sollte halt nur zügig auf die ersten Anzeichen reagieren und wechseln. Sicher ist es nicht leicht beim Schmuckkauf vorauszusehen welche Proportion in der angestrebten Stärke optimal ist und sogar eine kompetente Beratung oder der direkte Einsatz im Piercingstudio wird einen Fehlkauf nicht immer verhindern können. Oft zeigt sich mangelnder Tragekomfort oder Alltags- und Einsatztauglichkeit erst nach einiger Zeit und dann ist es für einen Umtausch meist zu spät. Wer aber einmal angefangen hat seine Piercings zu dehnen wird vermutlich recht schnell einen neuen Einsatzort für den „Fehlkauf“ finden. Mit voranschreitender Stärke des Schmucks bekommt man dann auch mehr und mehr ein Gefühl und eine Vorstellung von seinem „wachsenden“ Piercing und welche Proportionen für die eigenen Bedürfnisse, Anatomie und Ziele optimal sind.
Risiken
Übermut, tut selten gut! Wenn wir schon mit den blöden Weisheiten angefangen haben, dann bleiben wir auch dabei. Denn meistens hat ein Problem beim Dehnen mit Übermut zu tun. Aus Euphorie über anfängliche Erfolge wird zu schnell gedehnt oder manch einer versucht einen neuen Rekord aufzustellen und hört gar nicht mehr auf immer dickeren Schmuck einzusetzen. Im Grunde muss das kein Problem sein, allerdings kann es bei manchen Piercings zu schweren Komplikationen führen. Das gesunde Mittelmaß ist also wieder einmal der beste Weg. Nachfolgend wollen wir deshalb auf die häufigsten Dehn-Probleme mit den populärsten Piercings im Detail eingehen. Vorab sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass sämtliche hier aufgeführten Probleme im Durchschnitt auftreten können und statistisch recht häufig auftreten. Selbstverständlich ist jeder Mensch anders gebaut und nahezu jede Anatomie unterscheidet sich von der einer anderen Person. Wir wollen durch das Aufzeigen möglicher Komplikationen auch niemanden „Bange machen“ oder den Spass am Experimentieren nehemen, aber Vorsicht ist in jedem Fall geboten!
PA – Prince Albert:
Viele Träger eines Prince Albert Piercings (wird durch die Unterseite der Harnröhre gestochen) überschreiten die gängigen und bewährten Stärken von 4mm bis 6mm um einiges, das kann zu schweren Komplikationen bzw. Problemen führen. Das häufigste Problem ist die Überdehnung der Harnröhre, welche zu Harnweginfekten und Kontinenzproblemen führen kann. Zu Harnweginfekten kommt es, wenn eine vergrößerte Harnröhre, welche die Öffnung an der Eichel nicht verschließen kann, Keimen und Erregern leichten Zugang in die Harnröhre und den Urogenitaltrakt bietet. Kontinenzprobleme (Med.: Vermögen Körperausscheidungen zurückzuhalten) können durch eine zu stark gedehnte Harnröhre auftreten, wenn der Harnröhrenschwellkörper (Fortsatz des Eichelschwellkörpers, welcher die Harnröhre umschließt) nicht mehr in der Lage ist, sich zu kontrahieren und den Urinfluß aus der Harnröhre zu kontrollieren. Eine weitere Gefahr entsteht durch das Gewicht und Format von Ringen ab der Stärke 8 und mehr Millimetern. Diese können einen verstärkten Druck auf die Unterseite der Harnröhre, den unteren Teil des Harnröhrenschwellkörpers und auf das dünne Gewebe auf der Unterseite der Eichel ausgeübt. Dieser dauerhafte Druck kann zu einer Unterversorgung des Gewebes mit Blut und Nährstoffen führen, was wiederum im „worst case“ zum Absterben des betroffenen Gewebes führen kann. Wenn das der Fall ist, dann führt das oft zu einer ungewollten Spaltung der Eichel an der Unterseite (ähnlich der Meatotomie – Med. OP zur Behebung der Meatusenge – Verengung der Harnröhrenmündung). Ein weiteres Problem bei derart dicken Ringen ist, dass der Schmuck oft die komplette Harnröhre in ihrem Querschnitt ausfüllt und es daher zu Problemen beim Wasserlassen kommen kann. Diese Probleme können wieder zu Harnwegsinfekten bis hin zur Cystitis (Med.: Blasenentzündung) führen (siehe Illustrationen rechts). Ein weiteres typisches Problem beim PA Piercing stellt die Qualität des Schmucks dar. Da bei dickeren Stärken das Gewebe und besonders die empfindliche Harnröhre, sehr eng am Schmuck sitzt, kann es leicht zu Verletzungen kommen. Ist der Schmuck nicht von bester Qualität oder falsch behandelt worden (siehe: Schmuckaufbewahrung – Piercing ABC Bauchnabel Seite 6/7) und hat Kratzer oder andere Schäden in der Politur und Oberfläche, können diese zu Reizungen bis hin zu Verletzungen der Harnröhre führen. Eine anschließende Vernarbungen der Harnröhre ist sehr unangenehm. Das kann zu chronischen Problemen an dieser Stelle führen, so dass der Schmuck vollkommen entfernt werden muss.
Frenum Piercing:
Das Gewebe des Frenum (Frenulum Praeputii) an der Unterseite der Eichel ist recht dünn und kann nicht sehr viel Gewicht tragen. Aus diesem Grund sollte man das Frenum Piercing auch nicht zu stark dehnen. Es kann leicht ein- oder durchreißen. Eine solche Verletzungen kann bei sportlichen Aktivitäten oder beim Sex sehr leicht passieren, was zu mehr oder weniger starken Blutungen führt. Keine sehr angenehme aber auch nicht besonders bedrohliche Situation.
Schamlippen:
Diese Piercings eignen sich recht gut zum Dehnen wobei es auch hier auch oft zu einer Überdehnungen kommt. Bei zu dickem Schmuck (ab 4mm aufwärts) in den äußeren Schamlippen (gerade wenn es mehr als 2 Piercings sind) kann es zu Platzproblemen bei Kleidungsstücken (z.B. Unterwäsche und enge Hosen ) kommen, was wiederum dazu führen kann, dass der Schmuck sich verdreht oder verstärkten Zug und Druck auf die Piercings ausübt. Zu dicker und schwerer Schmuck in den äußeren Schamlippen kann darüber hinaus zu einer permanenten Verlängerung und Formveränderung (Gewebezuwachs, ähnlich dem Lobe) der Schamlippen führen. Durch zu hohes Gewicht und mechanische Krafteinwirkung kann zudem das Gewebe einreißen oder unterversorgt (siehe PA) werden. Plant man sein Piercing hier stark zu dehnen, macht es Sinn das im Vorfeld mit dem Piercer zu besprechen, geplante Dehn-Projekte können direkt bei der Platzierung des Piercings berücksichtigt werden. Schmuck in großen Stärken, getragen in den inneren Schamlippen (dicker 3mm) kann ebenfalls zu Rissen im Gewebe, Unterversorgung (siehe PA) und dauerhafter Form- und Größenveränderung führen.
Klitorisvorhaut:
Meistens sind stärken größer als 3,2 nicht möglich, aber in Ausnahmen sind bis 5mm (oder mehr? Eher fraglich!) machbar. Hier gilt es langsam und behutsam zu dehnen, da eine große Rissgefahr des sehr dünnen Gewebes besteht. Auch wächst ein gedehntes Piercing durch die erhöhte Spannung leichter heraus. Zu großer Schmuck kann, genau wie falsch platzierter Schmuck durch die starke permanente Reizung der Klitoris zu Gefühlsverlust und Desensibilisierung führen. Der stärkere Schmuck sollte immer im entsprechenden Größenverhältnis zum Stichkanal bleiben, damit keine Reizungen durch das Verdrehen zu großer Schmuckstücke oder Einklemmen des Gewebes bei zu kleinem Schmuckwahl entsteht.
Fourchette und Christina:
Diese Piercings werden in den seltensten Fällen gedehnt, möglich ist es allerdings. Im Einzelfall sollte man dies mit dem Studio seines Vertrauens besprechen. Thorsten, Markus, Ink