Reisebericht US Tour 2006

„Wie ist das eigentlich in anderen Ländern?“
Eine Frage, die wir uns immer mal wieder stellen wenn es um Bodyart oder Piercing und Tattoo-Studios geht. Nach dem Artikel über KALA in Hawaii in der letzten Ausgabe, setzen wir die Reiseberichte mit diesem Artikel fort und hoffen daraus eine Serie für die kommenden EXPANDs zu schaffen. Da wir nicht ständig in der Welt herumreisen können, rufen wir jeden zur Mitarbeit auf. Wenn Du viel auf Reisen bist, Fotos geschossen hast oder interessantes berichten kannst, melde Dich! Wir freuen uns über jeden guten Beitrag den wir drucken dürfen.

Viva Las Vegas
Die Stadt des Glücks…

Die Stadt der Superlativen mitten in der Wüste wächst unaufhörlich und der Strip wird immer heller, bunter und lauter – aber in Sachen Körperschmuck hat Las Vegas in den letzten Jahren geschlafen. Zwar findet jedes Jahr das größte Treffen des internationalen Piercingverbandes (APP www.safepiercing.org) im Riviera Hotel mitten in Las Vegas statt (dieses Jahr vom 30.04. bis zum 05.05.2006 – wir werden einen ausführlichen Bericht darüber im nächsten EXPAND bringen), das wäre dann aber schon alles an Bodyart Highlights was Vegas zu bieten hat. Die Qualität und Art der Studios könnte unterschiedlicher nicht sein und läßt sich grob in zwei Gruppen einteilen. Der eine, deutlich größere Teil arbeitet mit dem Touristenstrom und einheimischem Partyfolk auf einem sehr niedrigen bzw. teilweise kaum vorhandenen Standard, der andere Teil arbeitet nach APP Standards. Überraschender Weise wird zu oft ohne sterilen Schmuck und Eqipment gearbeitet und was der Kunde in der Auslage findet, wird in das frisch gestochene Piercing eingesetzt. Wir wollen an dieser Stelle kein spezielles Studio „in der Luft zerreissen“ aber während unserer Studiotour hat es uns so manches mal die Sprache verschlagen. In vielen Studios findet fast wie selbstverständlich keine oder so gut wie keine Aufklärung statt, Kunden mit Fragen werden kurzatmig „abgewickelt“. Die Pflege wird dem Kunden im Prinzip selbst überlassen und nur in Ausnahmefällen konnte man uns auf Nachfrage eine Pflegeanleitung vorlegen – die dann allerdings meist auch nur als spärlich bis mangelhaft bezeichnet werden konnte. Eine gute oder eben auch schlechte Sache sind die uns Europäer immer wieder überaschenden, die meisten Studios bieten einen 24h Stunden Service an, der zu unserer Verwunderung auch von der Kundschaft sehr stark genutzt wird. Die Studios, wenn man sie als solche möchte, sind auf niedrigstem Level eingerichtet, bei einem Preis von teilweise 10 US$ pro Piercing ist das auch kein Wunder! Wie so oft gilt: „You get what you pay for“. Auffallend ist, das die meisten dieser Studios Friendchisegeschäfte sind, also einer größeren Ketten angehören. Der wirtschaftliche Aspekt „Modeschmuck“ und den Trend Piercing zur „schnellen“ Mark zu machen ist nicht zu übersehen. Kein Vergleich zu den meisten deutschen Studios, hinter denen in der Regel Personen stehen, die ihr mit  und Leidenschaft führen. In zahlreichen Gesprächen mit den Piercen dieser Studios hat sich sehr schnell gezeigt, dass diese selbst schon gerne auf einem höherem Standard arbeiten würden und auch fachlich kompetent sind. Aber die Situation des Marktes läßt das nicht zu. Eine frustrierende Situation, die oft genug in Problemen der Kunden endet, die dann vermutlich aber schon Vegas verlassen haben. So erklärt sich auch wie man es sich erlauben kann, auf diesem Level zu „operieren“. Ein eigenes Studio am zu eröffnen ist eigentlich nicht möglich, man könnte in dem Preissegment gar keinen vernünftigen Rahmen für ein Piercing schaffen und somit nicht konkurrieren. Die wenigen Studios, die meist auf dem APP Standard arbeiten, sind nur abseits des Strips zu finden. Dort wird ähnlich wie in Deutschland auf einem Niveau gearbeitet, wie es verschiede Interessengemeinschaften und die Gesundheitsämter festlegen (www.richtig-piercen.de). Als Empfehlung bleibt zu sagen: es ist ein wenig wie in Europas beliebten; ein billiger Preis lockt. Aber man sollte nicht das erst beste Studio wählen, sondern sich richtig Informieren und evtl. den einen oder anderen Dollar mehr bezahlen, weil man es sich wert ist. Dann steht dem Piercing in der Glitzerstadt Las Vegas nichts mehr im Wege.

Phoenix, die Bodymod-Stadt in der Wüste Arizonas…

Phoenix hat den Charme verschlafenen Wüstenstadt. Kaum einer war einmal dort und im Vergleich zu Las Vegas muss man schon vom absoluten Gegenteil sprechen um Phoenix treffend zu. Aber auch die Studio Situation ist das genaue Gegenteil von Las Vegas, denn die Studios hier sind alles andere als 08-15 und auf niedrigem Niveau. Besucht haben wir hier Steve Haworth (www.stevehaworth.com), Amerikas bekanntesten Bodymod-Artist in Sachen 3D Implants und Transdermals. Steve gründete von Jahre die Studios HTC-  die auf einem sehr hohen Standard arbeiten und ohne Probleme allen medizinischen und hygienischen Auflagen entsprechen (Schmuck, Hygiene, Sterilisation, Personal usw.). Dort wird der Kunde fachlich und versiert beraten und betreut – ein wahrer Traum für jeden Bodymodler. Ebenfalls sofort auffallend ist die große, qualitative hochwertige. Eine Sache, die man in den bisher besuchten US-Studios viel zu selten zu Gesicht bekam. Hier fühlen wir uns so richtig wohl, denn Piercing und Bodyart wird von jedem einzelnen der hier arbeitenden gelebt und geliebt. Was sich dann auch sofort auf die Kundschaft überträgt. So lernen wir zahlreiche interessante und interessierte Kunden in kürzester Zeit kennen. Wirklich ein moderner Tempel der Körperkunst, der begeistert. Steve selbst hat sich mittlerweile aus den HTC Studios zurückgezogen, arbeitet aber nach wie vor eng mit seinen Leuten zusammen. Dieser Rückzug vom alltäglichen Geschäft bietet ihm die Möglichkeit sich mehr auf die Verbesserung der von ihm entwickelten Implantate und 3D Siliconschuck zu konzentrieren. Wirklich beeindruckend ist seine „Forschung“ auf diesem Gebiet – mit einem Höchstmaß an fachlichem Wissen und Kreativität, sind hier schon die unglaublichsten Dinge und Prozeduren entstanden. In der kommenden Ausgabe wollen wir daher auf jeden Fall mehr von Steve Harworth schreiben, da wir der Meinung sind seiner Arbeit kann gar nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden. Natürlich gibt es neben HTC auch andere Studios in Phonix, wir haben einige besucht und waren angenehm überrascht ein durchweg hohes Niveau anzutreffen. Fast alle Studios arbeiten sehr gut und bieten dem Kunden eine angenehme und professionelle Atmosphäre mit große Schmuckauswahl. Vermutlich hat man als Studiobetreiber auch keine andere Wahl mit einem Mitbewerber wie den HTC – Studios in seiner Stadt. Ausnahmen gibt es aber natürlich auch in Phoenix, die üblichen „Schmuck und Mode-Lädchen mit Piercing-Ecke“, aber es sind auffallend wenige. Phonix ist also in Sachen Körperschmuck immer ein Besuch Wert. Besonderst wenn man Interesse an der etwas extremeren Art der Bodymodification, wie Transdermals und 3D-Implantate, hat.

 

New York die Stadt die niemals schläft.

Von der Wüste Arizonas in den Norden der Ostküste zu fliegen verlangt einem einiges ab – der nahende Winter 2005 begrüsst uns kühl. Aber der Big Apple ruft und man erwartet in New York eigentlich eine große Szene in Sachen Körperschmuck und BodyModler. Doch die Ernüchterung trifft einen recht schnell wenn man versucht eine Route für die Studiotour festzulegen, denn es ist nicht einfach Studios in New York (Manhatten) zu finden, egal ob diese gut oder schlecht sind. Zu den Gebieten ausserhalb Manhattens hat man leider als New York Frischling und Tourist nur schwer Zugang. Beschäftigt man sich allerdings ein wenig mit der Situation und fängt einfach einmal an zu „graben“, erfährt man schon in den ersten Gesprächen, dass Körperschmuck, insbesondere das gewerbliche Tätowieren, vor etwa 5 Jahren in der Stadt noch verboten waren. Eine völlige Ãœberraschung, war New York doch um 1900 die Geburtsstätte der elektrischen Tätowierung. Aber schon 1964 geriet diese blühende, schnell wachsende und vermutlich älteste Szene und Künstler der elektrischen Tätowierung durch (vermutlich) wenige schwarze Schafe in Verruf. Das endete dann in einem generellen Verbot dieses Gewerbes. Den heute noch spürbaren Charme und das besondere in New York prägten ab diesem Zeitpunkt die Tattoo-Künstler die nicht abwanderten, sondern mit ihrer Arbeit in den Untergrund gingen. Wirklich interessante Geschichten und viele Zeitzeugnisse finden sich noch heute in New Yorks Tattoo Studios. Ein sehr interessantes Buch zur Tattoo-Szene vor dem Verbot ist Michael McCabes „New York City Tattoo – The Oral History of an Urban Art (ISBN 0-945367-20-1). Doch zurück zum Piercing und unserer Studiotour. Wie wir erfuhren, entwickelt sich in den letzten Jahren erst langsam wieder eine öffentliche Szene, die stets mit einem Fokus auf hohen hygienischem Standart und Qualität bestrebt ist ein solches Verbot nie wieder zuzulassen. Allerdings gibt es auch hier das aus Las Vegas bekannte „Touri-Problem“. Im Greenich Village, einem belebten Teil Manhattens, findet man eine Ladensituation vor, die dem Strip in Vegas leider in nichts nachsteht. Hier gibt es einen Laden neben dem anderen, zahlreiche Studios also innerhalb eines Blocks, die sich in Preis und Qualität reium unterbieten. Hier wird zwischen Wasserpfeifen, billigen Accessoires und touristischen Andenken gepierct und tattoowiert, was die Nadeln hergeben. Meist nur durch einen Vorhang vom übrigen Publikumsverkehr getrennt. Der Schmuck ist oft aus Fern-Ost und von unterirdischer Qualität. Auffallend auch die immer wiederkehrende geringe Auswahl in zahlreichen Studios, man will meinen es kaufen alle beim gleichen fliegenden Händler. Diesen Teil der New Yorker Studios haben wir schnell hinter uns gelassen. Aber auf gut Glück ein ordentliches Studio in New York zu finden oder auch nur zufällig einmal angenehm überrascht zu werden ist nahezu unmöglich. Wir machten uns also auf den Weg bekannte Größen der „richtigen“ jungen BodMod Szene New Yorks zu besuchen. In Brooklyn waren wir im Studio von Brian Decker (www.puremodification.com). Das liegt leider in einer Gegend, die sich dem „normalen“ NY Besucher nicht so ohne weiteres erschliesst. Dort angekommen fühlt man sich jedoch schon direkt wieder wohl in seiner Haut, wir finden uns wieder in einem Top Studio auf höchstem Niveau. Keine wirkliche Ãœberraschung, gehört Brian doch zu der Sorte der Bodymod-Artists, die neben dem „regulären“ Piercing auch weitere Arbeiten anbieten. Brian hat sich Abseits des Mainstream seinen Platz gesucht, um seine Arbeiten in ruhiger und sauberer Atmosphäre den Kunden anbiete zu können. Seine Scarifications und Implants sind im ganzen Land und über die Grenzen der USA hinaus bekannt. Als Fazit bleibt zu sagen, dass also auch in den USA viel unternommen wird um Qualität und Handwerk weiter voran zu bringen. Es schließen sich – wie auch in Europa – Piercer zusammen um neue Wege in Sachen Piercing und Bodymodificationen zu erkunden. Durch den dabei entstandenen Erfahrungsaustausch, die forcierte Weiterentwicklung und Zusammenarbeit profitiert nicht zuletzt auch der Kunde. Je besser aufgeklärt ein Kunden ist und je höher das Niveau der lokalen Studios, umso schwerer fällt es den Discountern ihr „Billig Konzept“ an den Kunden zu bringen. Bleibt zu hoffen, dass Europas Metropolen eine ähnliche Piercing – Discount Industrie erspart bleibt und die Zusammenarbeit und das Netzwerk aller Bodyart-Schaffenden auch international immer besser funktioniert.

Thorsten, Markus