Suspension Teil I

Die englische Sprache gehört mehr und mehr zu unserem Alltag – dennoch wollen wir diesen Artikel mal mit der einfachen Übersetzung dieses Wortes anfangen: Suspension, von engl. „to suspend“ = aufhängen

Damit ist im Prinzip alles gesagt – eine Suspension ist das Aufhängen des Körpers an Haken, die durch die Haut gestochen werden – oder ist es mehr?

Wie wird Suspension wahr genommen? Eine Suspension ist aufregend, schockierend, blutig und in den Augen manches Betrachters „krank“ und nur etwas für „Freaks“. Stimmt nicht! Gegen diese oberflächliche Betrachtung treten wir mit dieser Artikel-Reihe an und tauchen ein in die Welt der Suspension mit ihrer Kultur, Geschichte, Technik und allen körperlichen und mentalen Aspekten.

Suspension

Eine Einführung von

Thorsten Sekira (Wildcat München)

Der Gedanke, sich dicke Haken durch die Haut stechen zu lassen um sich daran aufzuhängen, lässt viele zwar erschaudern und trotzdem findet dieses alte Ritual heutzutage immer mehr Anhänger und Interessierte.

Die Gründe dafür sind so verschieden, wie die Leute, die es tun.

Manche suchen „nur“ den reinen Adrenalinkick und wollen eine neue Art der Körpererfahrung, andere stellen sich mit der Suspension ihren tiefsten Ängsten und Dämonen (sehr schön dargestellt im Comic von VuhDuh – Wildcat Argentinien).

Wieder andere versuchen damit eine andere Ebene des Bewusstseins zu erreichen, tief in sich hinein zu hören, das Gefühl zu bekommen Gast im eigenen Körper zu sein.

Allen gemein ist eine sehr intensive Erfahrung – bewirkt nicht durch Schmerzen sondern den Schwebezustand und das Verlassen der gewohnten Umgebung des festen Bodens unter den Füßen in dem Bewusstsein an Haken und Seilen zu hängen die durch das eigene „Fleisch“ gestochen sind. So ist für viele die Suspension ein Weg herauszufinden wie der eigene Körper und Geist auf Stress reagiert um zu erfahren oder zu lernen wie man mit dem alltäglichen Stress besser zurecht kommen kann.

Keine „Freaks“

Die Personen, die diese Art der Körpererfahrung suchen kommen aus allen Gesellschaftsschichten und man kann Sie in keine gemeinsame „Schublade“ stecken, dennoch – die meisten Leute in der westlichen Welt, die sich mit Suspensions beschäftigen sind mehr oder weniger stark mit der Welt der Körperkunst (Piercing, Tattoo, Bodymodification) verbunden. Das Durchschnittsalter dieser Gruppe liegt zwischen 18 und 35 Jahren und der größere Anteil sind Männer – aber wie bei allen statistischen Werten gibt es auch hier viele Ausnahmen. Im Prinzip kann jeder an einer Suspension teilnehmen sofern sie oder er diese Erfahrung machen wollen, es gibt eben nur wenige Gründe die dagegen sprechen – z.B. fehlende körperliche Fitness und Gesundheit sowie mangelnde geistige Reife – um die Wichtigsten zu nennen.

Beim Pulling (eine „Vorstufe“ zur Suspension – wenn man so will) liegt die Latte der körperlichen Voraussetzungen niedriger und besonders im Zusammenspiel mit einer zweiten Person ist auch diese Erfahrung einzigartig. Beim Pulling werden genau wie bei der Suspension Haken durch die Haut gestochen, jedoch wird man nicht an den daran befestigten Seilen aufgehängt sondern zieht oder wird daran gezogen (engl. „to pull“ = ziehen).

Tut das weh?

Ja, natürlich! Aber der Schmerz steht nicht im Vordergrund und für Masochisten gibt es bessere und leichtere Wege zum Schmerz. Die körperliche Erfahrung einer Suspension kann man am besten mit einer Mischung aus Brennen, Ziehen und allgemeinem Schmerz zusammenfassen, wobei dieser Schmerz meist nach kurzer Zeit gar nicht mehr wahrgenommen wird. Natürlich ist diese Beschreibung nur ein subjektiver Eindruck von mir, denn hier gibt es naturgemäß Unterschiede, da jeder Mensch seinen Körper und extreme Belastungen (was eine Suspension letztendlich ist) unterschiedlich wahrnimmt und verarbeitet.

Die richtige Einstellung

Neben diesen körperlichen Erfahrungen bietet eine Suspension aber auch eine sehr starke geistige Erfahrung, denn man hängt sich nicht am eigenen Fleisch aus Langeweile auf oder weil es grad Mode ist. Zumindest sollte das im allgemeinen nicht die Motivation sein. In der Regel geht man an eine Suspension mit einer gewissen Erwartungshaltung oder Absicht heran, welche dann die mentale Erfahrung und Wahrnehmung der Suspension beeinflußt.

Die extreme dieser geistigen Empfindungen reichen von einem tranceähnlichen Zustand ohne jegliche Schmerzen bis hin zu Panikattacken und Schmerzen. Durch den Zug der Haken an der Haut und die dadurch folgenden Schmerzreize und dem Gefühl völlig fixiert zu sein und dennoch frei zu schweben wird der Körper und Geist in eine Art leichten Schockzustand versetzt. Dieser Zustand bringt den Körper dazu große Mengen an Endorphinen auszuschütten wodurch sich zum einen der Schmerzreiz verringert und zum anderen gleichzeitig eine Art von Euphorie ausgelöst wird. Diese zwei Seiten der Wahrnehmung werden unterschiedlich stark gewichtet wahr genommen und bestimmen den Gesamteindruck dieser Erfahrung.

Die Vorbereitung

Nun wird deutlich weshalb unter anderem auch eine Vorbereitung des Geistes und das langsame Herangehen an eine Suspension über z.B. das Pulling im Vorfeld so wichtig ist. Stellt man seinen Geist und Körper nicht auf diese Situation ein, kann es durchaus eine negative und schmerzhafte Erfahrung werden. Nicht grundlos war die Suspension in traditionellen Ritualen wie dem O-Kee-Pa der Mandan „Indianer“ in Nord-Amerika der Abschluss und Höhepunkt eines mehrtägigen Ritus aus Meditation und Vorbereitung und wurde unter der Anleitung des „Ka-See-Ka“ – einem älteren Mann, der „diese Reise bereits hinter sich hat“ – durchgeführt.

Als Außenstehender stellt man sich das Hängen als schmerzhaftesten Part der Suspension vor, das wird von den meisten, die schon einmal gehangen haben, allerding anders empfunden. Denn das Stechen der Haken ist eher mit Schmerzen verbunden wärend das Hängen an sich durchaus angenehmen und positiv empfunden werden kann. Viele fühlen sich sehr befreit und glücklich während sie hängen und spüren keinen Schmerz mehr.

Die Rituale leben

Suspensions der „Neuzeit“ und in der westlichen Kultur haben durchaus auch, einen rituellen Hintergrund und werden in ihrer ursprünglichen Bedeutung und Ritus noch heute ausgeübt und praktiziert.

Beispiele hierfür sind der „Sun-Dance“ der Modern Primitives und die über Jahrhunderte gleich gebliebenen Rituale auf den Festen der Hindus wie dem Thaipusam und dem Chidi Mari. Wenn auch beide Festtage im Zuge der Christianisierung und Annäherung an die westliche Kultur in Indien und Sri Lanka als „zu barbarisch“ verboten wurden und nur langsam den Weg zurück an das Licht der Öffentlichkeit finden. Überlebt haben diese alten Bräuche und Rituale im Untergrund und in anderen Ländern Südost-Asiens wie z.B. Malaysia. Die Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Herkunft und Tradition lässt diese Festivals zur Zeit jedes Jahr wachsen. Der Preis dieser wiedergefundenen Akzeptanz der Gesellschaft ist die zunehmende Kommerzialisierung zur touristischen Attraktion – was allerdings der Ernsthaftigkeit und rituellen Integrität nicht abträglich ist.

Die Gründe für die Suspensions der „alten Kulturen“ sind meist spiritueller Natur. So wurden diese Rituale dazu benutzt um andere Dimensionen des Geistes zu erkunden, um verschieden Krankheiten zu heilen, als Zeichen von Hingabe und um dem Geist zu ermöglichen den Körper zu verlassen und Visionen zu erlangen. Auf die Details der verschiedenen Rituale werden wir in einem der folgenden Artikel dieser Serie eingehen.

Erst spät im 20. Jahrhundert wurden diese Rituale von westlichen Künstlern aufgegriffen und praktiziert, so z.B. vom Künstler Stelarc, der schon in den späten 70ern und Anfang der 80er Jahre die ersten Suspensions in seine Performances einbaute und dadurch diese alten und fast vergessenen Rituale dem westlichen Publikum präsentierte. Später gründeten sich vor allem in Nord-Amerika die ersten sogenannten „Suspensiongroups“, die sich mit dieser Materie sehr ausführlich in Theorie und Praxis beschäftigen. Bis heute hält diese Entwicklung an und es kommen fast wöchentlich neue Gruppen hinzu, die interessierte Anfänger bei ihren ersten Schritten in diese neue Welt begleiten und ihnen zur Seite stehen.

Möchte man im Kontext der alten Rituale bleiben, so haben diese Gruppen die Aufgaben der Schamanen, Fakire und Priester übernommen, indem sie diese Rituale leiten und mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung begleiten.

Pulling, der 1. Schritt

Ein guter Einstieg in die Welt der Suspension ist das „ Pulling“ (auch „Energy Pull“ genannt). Hierbei bekommt man in der Regel 2 Haken durch verschiedene Körperteile (meist Rücken im Bereich der Schulterblätter oder Brust) gestochen und wird mit einem oder mehreren Partnern mit ähnlicher Hakenkombination durch Seile verbunden. Beide Parteien ziehen in entgegen gesetzte Richtung. Dadurch wird auch ein mehr oder weniger starker Zugreiz ausgelöst und die Beteiligten bekommen eine Idee was sie bei einer Suspension erwartet ohne gleich die Belastung des freien Hängens zu haben.

Die erste Suspension

Die erste Suspension sollte wie bereits erwähnt gut vorbereitet sein, dann wird diese Erfahrung umso positiver. Gesunde Ernährung im Vorfeld hilft dem Körper Energie zu sammeln für die Belastung, die er auszuhalten hat. Auch der verzicht auf Alkohol- und andere Drogen ist ratsam.

Neben diesen körperlichen Vorbereitungen ist der „Geistes-Zustand“ wichtig – ist man gerade in einer Phase mit viel Stress und mentalen Belastungen sollte man auf eine Suspension verzichten. Je entspannter man es also angeht und je sicherer und entschlossener man diesen Schritt tut, desto besser und positiver wird die daraus folgende Erfahrung werden.

Gut informiert über die Abläufe und mit großem Vertrauen in die Leute und Arbeit der Piercer, die einen begleiten ist ebenso eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Suspension. Die Leute, denen dieses Vertrauen entgegengebracht wird, sollten über große Suspension-Erfahrung, medizinisches Wissen und das richtigen Equipment verfügen um mit jeder möglichen Situation und eventuell auftretenden Komplikationen umgehen zu können.

Genau diesem Part der Suspension wollen wir uns im zweiten Teil widmen. In der nächsten Ausgabe von EXPAND geht es weiter mit den technischen Aspekten und der Ausrüstung für eine erfolgreiche und sichere Suspension und den Risiken und Komplikationen, die auftreten können.

 

 

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